Hawaii 2019 steht vor der Tür: Status quo des Trainings
In dieser Trainingsphase befinden sich die Athleten aktuell

Nur noch wenige Wochen bis zum legendären Rennen auf Hawaii 2019. Das WM-Fieber steigt. Doch an welchem Punkt der Vorbereitung befinden sich die Athleten so kurz vor dem Highlight des Jahres? Wir haben mit Björn Geesmann gesprochen. Als Sportwissenschaftler bei STAPS weiß er genau, welches Trainingspensum die Hawaii-Starter in den Beinen haben, ob noch Potenzial nach oben ist und wie die letzten Steps der Vorbereitung aussehen.
6 Fragen an Björn Geesmann
Björn ist Geschäftsführer von STAPS und arbeitet seit 10 Jahren als Coach im Triathlon. Der studierte Sportwissenschaftler hat in diesem Jahr unter anderem Profi-Athlet Boris Stein auf Hawaii 2019 vorbereitet.
Die Vorbereitung auf die Langdistanz bestimmt den Alltag der Athleten über Monate, bei Hobbysportlern teilweise sogar über Jahre hinweg. Jetzt steht die WM auf Hawaii 2019 so kurz bevor. In welcher Trainingsphase befinden sich die Athleten aktuell?
„Ich würde diese Phase, 4 bis 6 Wochen vorher, als das Feintuning bezeichnen. Man muss bedenken, dass die Athleten sich schon sehr lange Zeit im Training befinden. Verschiedenste Rennen wurden im Saisonverlauf absolviert. Unter anderem mussten sie sich für die Weltmeisterschaft auf Hawaii qualifizieren bzw. wie Patrick validieren. Dazu ist bereits eine hohe physiologische Leistungsfähigkeit notwendig. Ich würde daher sagen, dass die Hawaii-Starter zum jetzigen Zeitpunkt bereits zu 96% „fertigtrainiert“ sind. Der Rest ist, wie gesagt, Feintuning. Und das gelingt am besten über die Umsetzung von Schlüsseleinheiten. In der Regel sind das längere Einheiten über mehrere Stunden hinweg sowie ab und an schnelle Koppeleinheiten oder Multiwechsel. Bei letzterem absolviert man mehrfach hintereinander ein Koppeltraining mit kurzen Strecken. Nicht zu vernachlässigen innerhalb dieser Schlüsseleinheiten: Das Training der Wettkampfernährung. Es empfiehlt sich in ein, zwei, oder drei Einheiten die identischen Mengen wie im Rennen zuzuführen. Nur so kann man testen, ob der Körper die hohe Konzentration von beispielsweise 70-90 Gramm Kohlenhydraten pro Stunden beim Radfahren verträgt. Für den Magen-Darm-Trakt kann dies nämlich durchaus herausfordernd werden.“
Über die Saison hinweg kommt so einiges an Schwimm-, Lauf- und Radeinheiten zusammen. Gibt es einen Richtwert, wie viele Trainingskilometer die Athleten pro Woche in den Beinen haben?
„Natürlich ist das von Sportler zu Sportler unterschiedlich. Aber gehen wir mal davon aus, dass die Triathleten wöchentlich 5-6 mal zum Schwimmen gehen, dann wären das bei 4km pro Trainingsstunde um die 20-30km pro Woche. Beim Radfahren sagen die Trainingskilometer dagegen überhaupt nichts aus. Viel entscheidender ist die Qualität des Trainings. Diese sollte unbedingt im Vordergrund stehen. Umgerechnet auf die Stunden würde ich als Richtwert um die 4-6 Stunden drei, vier Mal pro Woche angeben. Sprich – wir kommen beim Radfahren auf wöchentlich rund 15-25 Stunden. Und betrachtet man die Laufkilometer in den Belastungswochen müsste bei manchen Athleten vermutlich ein Wert von 150 km pro Woche genannt werden. Im Schnitt würde ich allerdings einen Richtwert von 70-120 km angeben. Auch Patrick Lange wird sich in diesem Bereich aufhalten.“
Ist innerhalb der nächsten Wochen noch eine Leistungssteigerung zu erwarten?
„Hier muss man klar sagen, dass die Athleten über das Jahr hinweg schon so viel geleistet haben, dass die große Kunst nun darin besteht, die PS auf die Straße zu bringen. Feintuning ist wie schon dargelegt das richtige Stichwort. Die physiologischen Gegebenheiten, sozusagen die Motorleistung, sind vorhanden.“
Die ganze Ausdauercommunity spricht immer von der hervorstechenden Bedeutung des Tapering. Welche Rolle spielt es wirklich?
„Selbstverständlich ist das Tapering eine wichtige Phase in der Vorbereitung auf den Wettkampf. Hier gilt es eine optimale Balance zwischen Aktivierung und Erholung zu finden. Für Hawaii sollte man als dritten Faktor die Akklimatisation hinzunehmen. Ich empfehle die Erholung bereits zwei Tage vor der Anreise einzuleiten. In den meisten Fällen ist diese nämlich mit einem langen Flug verbunden, sodass es eher eine schlechte Idee ist, sich „angeknockt“ von einer harten Trainingseinheit mit großer Belastung für das Immunsystem ins Flugzeug zu setzen. Zu Beginn der Tapering-Phase nimmt die Erholung generell einen höheren Stellenwert ein. Nach der Ankunft morgens eine lockere Runde zu laufen oder zu schwimmen, wenn es noch nicht so heiß ist, ist daher absolut ausreichend. In kleinen Schritten gelingt so auch die Akklimatisation. Je mehr wir uns dem Wettkampf auf Hawaii nähern, desto wichtiger wird die Aktivierung. Die Muskulatur muss schließlich auf den Punkt fit und „aufgeweckt“ sein. Dazu gehört nochmal die ein oder andere schwungvolle Trainingseinheit oder individuelle Schlüsseleinheit zu absolvieren. Ein einzelnes Training kann trotz allem aus 3h Radfahren und 1h Laufen bestehen. Selbstverständlich bleibt der Umfang insgesamt reduziert. Das bringt uns nochmal zum Punkt der Ernährung. Auch diese sollte dem reduzierten Trainingsumfang angepasst werden. Nicht, dass in den letzten Tagen vor dem Wettkampf auf einmal 3kg mehr auf der Waage stehen. Das wäre denkbar ungünstig.“
Und wie sieht es mit Carboloading & Co. aus? Welche Rolle spielt Ernährung in den letzten Wochen vor dem Wettkampf?
„Carboloading in Extremform, d.h. die Speicher über viel Training und eine kohlenhydratarme Ernährung vollständig zu entleeren, wäre mir persönlich zu risikoreich. Die für den Körper eh schon sehr extremen Bedingungen auf Hawaii machen diese temporäre Ernährungsweise keinesfalls empfehlenswert. Zu leicht würde man sich im runtergekühlten Supermarkt bei geschwächtem Immunsystem eine Erkältung einholen. Vielmehr ist mein Rat immer Kohlenhydrate zur Hand zu haben. Nicht jeden Tag muss man sich dazu gleich 500g Nudeln reinziehen. Auch eine ausgewogene Ernährung aus beispielsweise Hähnchen, Gemüse und Reis enthält die notwendige Energie. Abraten würde ich dagegen von kurzkettigen Kohlenhydraten wie beispielsweise Weißbrot oder Süßwaren. Diese sind zwar schnell für den Körper zu verarbeiten, jagen den Blutzuckerspiegel allerdings schlagartig in die Höhe und sorgen schon nach kurzer Zeit wieder für ein Hungergefühl.“
Eine Luftfeuchtigkeit von rund 90% und Außentemperaturen bis zu 40°C: Hawaii ist berühmt berüchtigt für seine extremen Bedingungen. Wie können sich die Athleten auf die besonderen Verhältnisse vorbereiten?
„Eine frühzeitige Anreise von circa 10-12 Tagen vor dem Rennen ist ein wichtiges Hilfsmittel, da die Anpassung mindestens diesen Zeitraum benötigt. Ein gut gemeinter Rat ist zudem, seine Zeit keinesfalls nur im klimatisierten Apartment zu verbringen. Das mag angenehm sein, allerdings sollte man Sonne & Co. schon mal durchgemacht haben. Ist das nicht bereits auf Maui oder wo auch immer passiert, heißt es ab nach draußen. Auch so sollte man hin und wieder draußen Zeit verbringen und sich mit der hohe Luftfeuchtigkeit und heißen Temperaturen vertraut machen. Eine enorm wichtige Anpassung für den Körper ist die ansteigende Schweißrate. Diese kann am besten durch Bewegung in Schwung gebracht werden. Daher Aktivitäten und Trainingseinheiten auch bei hohen Temperaturen durchführen. Danach geht's zurück ins klimatisierte Apartment. Oder eben auch nicht.
Bereit zum Aufbruch Richtung Hawaii 2019?
Rund 2 Wochen bis 10 Tage vor dem Rennen heißt es: Abflug! In der Regel kümmern sich die Athleten eigenständig um die Anreise. Die Sportler wissen meist selbst am besten, was sie brauchen, worauf sie Wert legen, wo sie wohnen wollen und was ihr Budget hergibt. Der Tag der Anreise ist natürlich davon abhängig, wo man zuvor noch im Trainingslager war. Patrick Lange verbringt seine letzten Wochen vor dem Wettkampf beispielsweise in Texas. Klimatisch bereits das perfekte Ambiente für die anstehende Weltmeisterschaft. Er kann es sich daher leisten, möglichst knapp vor dem Rennen zu kommen. Wer hingegen direkt aus Europa anreist, muss etwas mehr Zeit zum Akklimatisieren einplanen. Und für die Zeitverschiebung. Rund einen Tag pro Stunde Zeitverschiebung benötigt der Körper normalerweise für die Umstellung. Zur Info: Zwischen Deutschland und Hawaii beträgt der Zeitunterschied stolze 12 Stunden. Vor Ort heißt es dann sich mit den Wettkampfstrecken vertraut zu machen. Insbesondere im Meer, also im Freiwasser, schwimmen, auf dem Highway Rad fahren und ein Abstecher ins viel berüchtigte Energy Lab. Daneben haben die Sportler auch den ein- oder anderen Pflichttermin zu erfüllen. Wettkampfbesprechung, Pressekonferenz, individuelle Termine. Einen Tag vor dem Rennen dann schließlich der Check-In für alle Teilnehmer. Die Räder, Fahrradhelme und Laufschuhe werden abgegeben. Der Medienrummel allein für diesen Termin ist immens. So kurz vor dem Wettkampf wird es daher zunehmend wichtig, unnötige Dinge zu vermeiden und nach Möglichkeit Aufgaben wie das Einkaufen an jemand anderen aus der Familie oder dem Umfeld zu delegieren. Während der eine Teilnehmer dazu tendiert, gerne viele vertraute Leute um sich herum zu haben, ist dies für den anderen nur zusätzlicher Druck. Meist immer dabei, der persönliche Physio: Der weiß am besten, was zu tun ist, sollte es plötzlich zwicken. Nur zur Sicherheit. Ansonsten lautet die Devise: Zeitig ins Bett, denn der Tag in Kona beginnt immer sehr früh!
Das Team ERDINGER Alkoholfrei fiebert dem Startschuss entgegen. Athleten aus allen Kontinenten und die ganze Triathlon-Fangemeinde können es kaum erwarten. Die heiße Phase hat definitiv begonnen!