Dynamisches Dehnen und andere Dehnmethoden einfach erklärt
Auf welcher Seite der Dehn-Kontroverse stehst du?
Dehnen vor, während und nach dem Sport ist ein höchst umstrittenes Thema. Und das nicht nur unter Sportlern. Auch Ärzte, Sportwissenschaftler und Physiotherapeuten beteiligen sich an der Diskussion. In dieser Sache scheint es kein schwarz oder weiß zu geben. Von „Dehnen beim Sport ist überhaupt nicht notwendig“ bis zu „Dehnen gehört zu jedem Warm-Up und Cool-Down“ ist alles möglich. Aber wer hat denn jetzt Recht und wie kannst du das Dehnen in dein Training integrieren? Solltest du das überhaupt? Ist Dehnen etwas anderes als Stretching? Wir helfen dir weiter und zeigen auf, wie unsere Experten zu dem Thema stehen.
Kurze Definition: Was ist dynamisches Dehnen?
Denk einmal an das statische Dehnen: Dort gehst du bei der Dehnung in eine Endposition und hältst diese für 40 bis 100 Sekunden. Deswegen ist diese Art des Dehnens statisch. Sportler versuchen mit dynamischem Dehnen, die Endposition der (Dehn-)Bewegung durch ein leichtes Wippen zu erweitern. Du verharrst also nicht in einer Dehnposition, sondern federst zum Ende der Bewegung.
Es ist sehr realitätsnah. Die meisten Sportarten beinhalten dynamische Bewegungen, daher können Übungen, die dynamisches Dehnen beinhalten, deine Muskeln darauf noch besser vorbereiten. So weit, so gut. Lust auf mehr? Dann liest hier weiter.
Neben Statements von Sportlern, Trainern und Ärzten erwarten dich Antworten auf:
- Was steckt hinter Dehnen, Stretching, Mobilisation?
- Welche Dehnmethoden gibt es?
- Was bewirken Dehnreize?
- Wozu soll das im Triathlon gut sein?
- Wann ist der richtige Zeitpunkt?
„Ist doch alles das Gleiche“
Nein! Leider nicht. Da fängt es ja schon an. Mobilisation, Dehnen, Stretching, Gelenkigkeit, Beweglichkeit, Flexibilität usw. Die Liste ist lang. Alles sind Begriffe, die häufig als Synonyme verwendet werden, jedoch letztlich was anderes meinen. Aber was denn nun?
Ein stichpunktartiger Überblick:
- Beweglichkeit: Bewegungsweite der Muskeln, Sehnen, Bänder und Kapseln
- Gelenkigkeit: Beweglichkeit des Körpers in den Gelenken (knöcherne Gelenkstruktur, Knorpel, Bandscheiben, Menisken)
- Dehnen: Auseinanderziehen bzw. Verlängern des Muskels
- Stretching: Meist bezeichnet Stretching das passiv-statische Dehnen, teilweise wird es jedoch auch einfach als die englische Übersetzung von Dehnen verwendet
- Flexibilität: Passives Bewegungsausmaß (Länge eines Muskels); Fähigkeit einen bestimmten Bewegungsradius auszuführen; kann durch Dehnen verbessert werden
- Mobilität: Aktives Bewegungsausmaß (Bewegungsumfang eines Gelenks); betrifft die gesamte Bewegungsausführung; Flexibilität ist oft die Voraussetzung dafür, dass die Bewegung überhaupt ausgeführt werden kann. Hier erfährst du, wie du deine Mobilität trainierst.
- Mobilisation: Bewegungsvorbereitende Übungen, die die Beweglichkeit verbessern und das Zusammenspiel der beteiligten Strukturen fördern
Diese Dehnmethoden solltest du als ambitionierter Sportler kennen
Dehnen ist also das Auseinanderziehen bzw. Verlängern des Muskels. Wie kommt diese Verlängerung jedoch zustande? Und welche Effekte hat das richtige Dehnen beim Sport eigentlich?
In der Praxis haben sich mehr oder weniger fünf Dehnmethoden durchgesetzt. Sie unterscheiden sich darin, ob sie dynamisch oder statisch, aktiv oder passiv und unter Anspannung der Muskulatur oder ohne durchgeführt werden. Veranschaulicht werden die wichtigsten Dehnmethoden am Beispiel des Dehnens der ischiokruralen Muskeln (rückseitige Oberschenkelmuskulatur).
Die Dehnposition wird ebenso schnell wie sie eingenommen wurde wieder direkt verlassen. Dadurch entsteht eine federnde, wippende Bewegungsausführung. Das dynamische Dehnen kann sowohl aktiv als auch passiv durchgeführt werden. Während beim aktiven Dehnen dein Antagonist die Dehnung ausführt, übernimmt beim passiven diese Aufgabe ein Partner, eine Maschine, die Schwerkraft oder ein anderer Muskel. Einige Sportwissenschaftler sind überzeugt, dass das dynamische Dehnen als Vorbereitung auf eine intensive sportliche Tätigkeit dem statischen Dehnen eher überlegen ist. So wurde in einer Studie zum Beispiel die horizontale Sprungfähigkeit durch dynamisches Dehnen stark verbessert.
Anders als bei dynamischen Dehnübungen wird beim statischen Dehnen die Dehnposition langsam eingenommen und über mehrere Sekunden (bis Minuten) beibehalten. Auch diese Methode kann sowohl aktiv als auch passiv erfolgen. Der Vorteil des statischen Dehnen ist, dass du mehr die Kontrolle über die Dehnung an sich behältst. Darüber hinaus ist statisches Dehnen auch eine geistige Entspannung, während du beim dynamischen Dehnen immer auch Kopfarbeit machst. Das statische Dehnen hat aber Nachteile: Weil das statische Dehnen einen Entspannungseffekt erzeugt und die Durchblutung der Muskulatur einschränken kann, ist statisches Dehnen weniger geeignet für Sportarten, die einzelne, sehr schnelle Bewegungen fordern. Dazu zählen etwa Sprints und Weitsprung. Für die Marathonvorbereitung oder sportliches Radfahren ist das statische Dehnen aber gut geeignet.
Ganz klar: Ja! Wenn du eine Dehnübung zu schnell ausführst, zum Beispiel. Das ist vor allem dann schmerzhaft und im schlimmsten Falle gefährlich, wenn deine Muskel und Faszien noch nicht sehr nachgiebig sind. Das ist gerade bei Einsteigern oft der Fall, oder nach langen Verletzungspausen. Also: Dehnen immer in Ruhe und mit großer Achtsamkeit!
Das AC-Dehnen klingt kompliziert – ist es aber nicht. AC-Dehen ist eine Variationsform des statischen Dehnens. Sie unterscheidet sich einzig dadurch, dass während der Dehnung des Zielmuskels (Agonist) der Gegenspieler (Antagonist) maximal angespannt wird. Dadurch wird die Dehnposition zusätzlich vertieft und nicht durch eine unwillkürliche bzw. reflektorische Kontraktion behindert. Denn spannt sich der Antagonist an, entspannt sich der Zielmuskel, sodass die Dehnübung optimal durchgeführt werden kann. (Zusammenspiel Agonist und Antagonist)
Wie der Name schon sagt – 1. Anspannung 2. Entspannung 3. Dehnen. Vor dem eigentlichen Dehnen spannst du daher deinen Zielmuskel maximal an. Lässt den Muskel kurz locker und gehst anschließend in die Dehnung des Muskels. Durch diese Abfolge verhinderst du, dass sich der Muskel reflektorisch der Dehnung widersetzt. Er lässt sich also „besser“ dehnen. Wie das AC-Stretching ist auch das CR-Stretching eine Variationsform des statischen Dehnens.
1.Anspannung (Unterschenkel drückt auf die Schulter des Partners)
2.Entspannung
3.Dehnen
Hierbei wird das Antagonisten-Anspannungs-Dehnen (AC-Dehnen) mit dem Anspannungs-Entspannungs-Dehnen (CR-Stretching) verknüpft. Die zuvor beschriebenen Mechanismen, sollen hierbei zusammenwirken und dadurch eine tiefe Dehnung der Muskulatur zulassen.
1.Anspannung (Unterschenkel drückt auf die Schulter des Partners)
2.Entspannung
3.AC-Stretching
Regelmäßiges Dehnen beim Sport führt langfristig zu folgenden Effekten:
- Verbesserung der Beweglichkeit
- Vergrößerung des maximal erreichbaren Gelenkwinkels
- Verbesserung der Entspannungsfähigkeit des Muskels
- Beschleunigung der Regeneration eines Muskels nach Muskelarbeit
- Positives Einwirken auf Körpergefühl und Wohlbefinden
Dehnen für einen Triathlon: Dehnen zeig ich`s
Auf den ersten Blick hat Triathlon wenig mit Beweglichkeit zu tun. Du musst weder einen Spagat können, noch dich wie ein Schlangenmensch verbiegen. Und trotzdem ist ein gewisses Maß für die optimale Bewegungsausführung nötig – auch in diesem Sport. Während es beim Schwimmen der Schultergürtel ist, der dehnbar gehalten werden muss, sind es beim Radfahren beispielsweise die Beinrückseite sowie ein flexibler Rücken, um die aerodynamische Position zu optimieren. Beim Laufen wiederum ist der Hüftbeuger entscheidend und stellt den limitierenden Faktor für deine Schrittlänge dar
Dehnen vor dem Schwimmen
Beim Schwimmen wirkt sich eine größere Beweglichkeit positiv auf deine Technik aus. Dehne hier also unbedingt im Vorhinein. Damit stellst du sicher deine Bewegungsamplitude später im Wasser vollständig ausschöpfen zu können. Allgemein gilt, dass Dehnübungen unmittelbar vor der Belastung das Verletzungsrisiko kaum reduzieren.
Dehnen vor dem Laufen und Radfahren
Vor dem Laufen und Radfahren ist es daher nicht unbedingt nötig zu dehnen. Bewegungsvorbereitende Übungen bieten sich hier aber trotzdem an. Mobilisiere deinen Körper mit aktiv-dynamischen Übungen und bringe ihn damit auf Betriebstemperatur. Beim Aufwärmen solltest du lediglich ein leichtes Ziehen vernehmen und ganz wichtig – keinen Schmerz! Vor der anstehenden Belastung keinesfalls passiv-statisch dehnen. Denn dies versetzt deine Muskulatur in einen entspannten Zustand und ist eher kontraproduktiv. Vor allem vor Sprints (bspw. auch vor dem Sprint ins Wasser beim Start) darf der Muskeltonus nicht zu stark abgesenkt werden.
Das kannst du im Anschluss an deine Trainingseinheit oder auch nach dem Wettkampf machen, um die hohen Spannungen nach dem Laufen und Radfahren zu reduzieren. Bei akutem Muskelkater lieber auf das Dehnen beim Sport verzichten. Denn das bewirkt, dass die Mikrotraumen in deiner Muskulatur sich vergrößern und im schlimmsten Fall dadurch sogar Muskelfaserrisse entstehen.
Experience is the best teacher!
Grundsätzlich kann ich sagen, dass Dehnen beim Sport nicht schlecht und auf gar keinen Fall schädlich ist. Besonders im Alter ist Dehnen bzw. Stretching für die Geschmeidigkeit der Gelenke wichtig und förderlich. Eine leistungssteigernde Wirkung von Dehnen sei dahingestellt und kann aktuell wissenschaftlich nicht belegt werden. Sprintern wird beispielsweise empfohlen sich nur leicht aufzuwärmen und nicht zu dehnen, da ansonsten die Explosivität der Muskulatur verloren geht. Letztlich bin ich der Meinung, dass jeder für sich alleine herausfinden muss, was einem gut tut. Manch Spitzensportler hat sich sein ganzes Leben noch nie gedehnt, andere dehnen sich jeden Tag eine halbe Stunde.
Sei es beim Warm-Up, während des eigentlichen Trainings oder beim Cool-Down – die Meinungen zum Dehnen gehen ja bis heute weit auseinander. Dehnen als Verletzungsprophylaxe vor dem Training / Wettkampf erachte ich persönlich als nicht sinnvoll. Durch das statische Dehnen, das kann man in vielen Studien nachlesen, wird die Muskelkraft, Explosivkraft und Schnelligkeit verringert. Dynamisches Dehnen finde ich dagegen gut, um direkte Regenerationsprozesse im Körper einzuleiten und Stoffwechselprodukte schneller abzubauen. Aber auch diese Form finde ich vor einem Training / Wettkampf nicht empfehlenswert. Allerdings gibt es in der Praxis und meiner Erfahrung nach immer wieder Sportler, denen das Dehnen nach einem kurzen Warm-Up (lockeres Traben) subjektiv ein besseres Gefühl gibt. Diese Sportler dehnen aber wirklich nur kurz den Muskel an – bis zu 5s – und kennen ihren Körper auch schon seit Jahren bzw. hören in diesen rein.
Ich dehne meist nie direkt vorher oder nachher, sondern lasse meinem Körper nach der Belastung Luft und dehne dann, wenn ich mich wieder ein wenig erholt habe. Das hilft mir persönlich besser, es als Trainingseinheit zu sehen. Ähnlich wie beim Yoga und Pilates auch. Nur wenn man sich auf die Einheit einlässt und mit ganzem Herzen dabei ist, entsteht eine völlige Entspannung im Körper. Der Effekt bleib aus, wenn ich schnell und hastig, vor oder nach der Belastung, versuche den Körper noch zu dehnen.
Ich habe immer mit einem Physiotherapeuten zusammengearbeitet und ein fester Bestandteil war immer ein passives Dehnen. In Trainingslagern sind bei mir die Dehneinheiten eher mal ausgefallen und durch eine Stunde mehr auf dem Rad oder Laufen ersetzt worden. Meiner Meinung nach sollte die wenige Zeit, die Altersklassenathleten oft haben, besser in Trainingsstunden in den eigentlichen drei Triathlon-Disziplinen investiert werden. Erst danach sollte bei noch vorhandenem Zeitbudget das Dehnen stehen. Bei Verletzungen oder Verletzungsanfälligkeit sieht dies natürlich anders aus.
Als Profisportlerin gehörte das Dehnen für mich täglich dazu. Allerdings selten als separate Einheit, sondern oftmals im Anschluss ans Laufen, Radfahren oder Athletiktraining.
Heute, als berufstätige Mutter, kommt es leider oftmals zu kurz. Allerdings nehme ich mir bewusst Zeit, zumindest einmal die Woche, alle Muskeln, die es nötig haben, ausgiebig zu dehnen. Vernachlässige ich dies, merke ich das schnell an meiner Körperhaltung. Auch kleine Zipperlein wie z.B. Knieschmerzen kommen oftmals einfach durch eine Verkürzung des vorderen Oberschenkelmuskels (Quadrizeps). Sobald ich dann wieder mehr Wert aufs Dehnen lege, verschwinden die Beschwerden sofort.
In meiner aktiven Zeit war das Thema Dehnen beim Sport /Mobilität/ Faszientraining zwar in den Medien nicht so präsent wie heute, aber im Profisport schon ein Thema. Ich habe mit Physiotherapeuten und Trainern zusammengearbeitet, die großen Wert darauf gelegt haben. Um eine gute Lauftechnik zu erreichen oder eine aerodynamische Position auf dem Rad zu halten, ist eine gute Beweglichkeit extrem wichtig. Hier ist aber nicht nur das Dehnen wichtig, sondern auch das Kräftigen der entsprechenden Muskelgruppen. Bei mir gab es also immer eine Kombination aus Dehnübungen und gleichzeitig Kräftigen. Ich baue Übungen auch heute immer in meinen Alltag ein. Bei meinen Athleten, die ich heute betreue, und in Camps kommt oft die Frage: Wann soll ich das zeitlich noch einbauen? Hier ist mein Tipp: vor Einheiten 5-10 min als Aktivierung einbauen. Gerade nach langem Sitzen im Büro oder nach Autofahrten kann die Trainingseinheit qualitativ dann viel besser ausgeführt werden.
Wie du siehst, gibt es beim Thema Dehnen beim Sport keine goldene Regel. Und es ist auch nicht alles das Gleiche: Dynamisches Dehnen und statisches Dehnen erfüllen unterschiedliche Aufgaben. Vielmehr ist es davon abhängig, was dir individuell gut tut. Dass es ein fester Bestandteil im Training vieler Athleten ist, hat durchaus seine Berechtigung. Auch im Triathlon ist ein gewisses Maß an Beweglichkeit von Vorteil. Wann und wie oft du allerdings deine Dehnübungen einbaust, musst du für dich selbst herausfinden. Höre in deinen Körper hinein!